Vom Haben und Brauchen in Liebesbeziehungen
- Doreen Mehner
- 14. Nov. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Nov. 2024
„Ich brauche dich, weil ich mich selber nicht halten kann.“
„Ich brauche dich, weil ich mich selbst nicht lieben kann.“
„Ich brauche dich, weil ich nicht alleine sein kann.“
Kennst du diese oder ähnliche Gedanken?

Sie sprechen von unseren Ängsten und Zweifeln und auch, dass wir uns selbst (noch) nicht selbst halten, ganz akzeptieren und lieben.
Liebe setzt jedoch Selbstliebe voraus und dies ist MEINE Entwicklungsaufgabe!
Es sind meine „Löcher“ (Schattenanteile, Defizite), die ich so gerne mit einem Partner stopfen würde, um mich GANZ zu fühlen: „Ich liebe meinen Körper zwar nicht, aber möchte, dass er ihn liebt, damit es mir damit besser geht.“ „Ich kann mich zwar alleine nicht (aus-)halten, wünsche mir aber, dass mein Partner mich (aus-)hält.“ „Ich denke zwar von mir, dass ich nicht gut genug bin, möchte aber, dass ich es für meinen Partner bin und er mich niemals gegen jemand anderen eintauscht.“
Das passiert unbewusst oft: Das, was wir uns selbst nicht geben können, suchen wir im Partner. Haben wir den dann erstmal gefunden, wollen wir ihn möglichst festhalten.

Die Gedanken oben weisen uns auch auf unsere Bedürfnisse hin und wir wünschen uns jemanden, der diese erfüllt.
Ein Partner kann jedoch niemals all meine Wünsche und Bedürfnisse, erfüllen. Das wäre eine grenzenlose Überforderung. Doch mit dem Ehe- und Partnerschaftskonstrukt inklusive des Treuegelübdes, das wir spätestens seit der Romantik von Kirche, Religion und Machthabern indoktriniert bekamen und heute kaum hinterfragen, setzen wir alles auf diesen einen Menschen. Ein Besitzanspruch wird geltend gemacht. Doch: Wie kann ich jemanden, den ich wirklich liebe, einsperren wollen? Es ist kein Wunder, dass so viele Beziehungen an diesen hohen Ansprüchen, Zwängen und Erwartungen zerbrechen.
Deshalb brauchen wir ein radikales Umdenken: ICH allein bin für die Erfüllung meiner Bedürfnisse verantwortlich.
Als Kind waren es noch meine Eltern – und oft versuchen wie das, was uns in unserer Kindheit fehlte, in unserer Partnerschaft zu kompensieren. Es fühlt sich deshalb in der Regel gut und sicher an, wenn ich sagen kann, dass ich jemanden an meiner Seite HABE. Der immer da ist. Der mir sicher ist. Der mich nicht verlässt. Der mir Geborgenheit gibt. Mit dem ich mich verbunden und nicht mehr einsam fühle. Du gibst mir, was mir fehlt. Ich gebe dir, was dir fehlt.
Und dann fühlen wir uns ganz…

Das ist zunächst einmal ein schönes Gefühl. Doch diese Art von Liebe ist eine kindliche und keine erwachsene Liebe, in der ich für mich selbst Verantwortung übernehmen sollte.
Die infantile Liebe folgt dem Prinzip: ,Ich liebe, weil ich geliebt werde.’ Die reife Liebe folgt dem Prinzip: ,Ich werde geliebt, weil ich liebe.’ Die unreife Liebe sagt: ,Ich liebe dich, weil ich dich brauche.’ Die reife Liebe sagt: ,Ich brauche dich, weil ich dich liebe.’ (Erich Fromm)
Meistens verlieben wir uns wirklich in Menschen, die genau das haben, was uns fehlt. Wir finden ihre Unterschiedlichkeit faszinierend. Das zieht uns an. Und anstatt diesen Spiegel als unsere Aufgabe zu erkennen, diese Anteile in uns zu entwickeln, benutzen wir den Anderen dafür. (Unbewusst) etwas vom Anderen bekommen zu wollen, was ich selbst nicht integriert oder entfaltet habe, ist jedoch ein Tauschhandel, der in Abhängigkeit und Frustration mündet. Und dies wird in unserer Gesellschaft gefördert und immer wieder bedient, z.B. in den zahlreichen romantischen Hollywoodfilmen und so vielen Liebesliedern. Sie zielen auf ein verzerrtes, bedürftiges und romantisches Liebesbild ab. Jemanden besitzen zu können und einen Menschen dauerhaft sicher zu haben, ist eine Illusion.
Was wir haben, können wir verlieren, aber doch niemals, was wir sind. (Wilhelmine von Hillern)

Wenn ich den anderen nicht mehr besitzen will (HABEN), sondern frei lasse und mich nicht mehr von ihm abhängig mache (BRAUCHEN), kann die Liebe frei fließen.
So ist es erst möglich, wirklich zu lieben und geliebt zu werden, wenn ich dir aus meiner Mitte heraus und mit meiner Wahrheit offen und ehrlich begegne. Wenn ich mich vor dir verletzlich zeige und dennoch in der Lage bin, mich selbst zu halten. Wenn ich mir meiner Themen und „Löcher“ bewusst bin und sie nicht dir in die Schuhe schiebe.
Ich übernehme die Verantwortung für mich. Und du für dich. Von hier aus können wir die Schnittmenge des UNS und unserer Liebe entwickeln und immer wieder neu definieren.

Liebe und Beziehung sind immer (in) Veränderung. Sie sind nichts Statisches.
Liebe, die frei lässt, setzt voraus, dass ich in der Lage bin, bewusste Entscheidungen zu treffen, dass ich weiß, wer ich bin, weiß, wer der andere ist, dass wir gemeinsam und immer wieder neu herausfinden, welche Art von Kontakt zwischen uns stimmt. Wann kommt ein volles Ja? Wann kann ich mit bewusstem und geöffnetem Herzen in diesen Kontakt gehen? (vgl. Dolores Richter, Die Liebe als soziales Kunstwerk, S.47)
Wenn wir unsere Beziehungen so gestalten, wie sie uns und unserer Wahrheit wirklich entsprechen (und nicht der „Norm“), wenn wir das HABEN und das BRAUCHEN loslassen, dann können wir uns in der Liebe frei entfalten.
Dann kann die Liebe über uns hinaus- und in die Welt hineinstrahlen.
Und meine Gefühle und Bedürfnisse?
In meiner Beziehung bringe ich meine Gefühle und Bedürfnisse in Kontakt mit dir. Nicht weil ich davon ausgehe, dass du sie mir erfüllst, sondern ganz einfach, weil ich meine Bedürfnisse spüre und ich sie dir mitteilen möchte. Und wenn ich frage, kann ich als Erwachsene/r dann eben mit einem "Nein" genauso umgehen, wie mit einem "Ja". Z.B.: "Ich fühle mich gerade alleine. Es wäre schön, wenn du mich ein bisschen halten könntest." Darum bitte ich nicht, weil ich mich selbst nicht halten kann, sondern weil es Momente gibt, in denen dieses Fallen-Lassen gut tut, zu spüren, da ist ein Gegenüber, welches gerne für mich da ist, wenn er/sie sich dafür entscheidet.

Wie können wir das erreichen? Was brauchen wir dafür?
Selbstkontakt, Selbsterkenntnis, Selbstakzeptanz, Selbstliebe
Ehrliche Kommunikation: Aus dem Herzen heraus sprechen und zuhören
Mut, uns dem Anderen zuzu-MUT-en
Echte, achtsame Begegnung
Verantwortungsübernahme für meine Gefühle und Bedürfnisse
Das Zugeständnis, dass ich nicht verantwortlich für deine Gefühle und Bedürfnisse bin
Einen geschützten Raum, wo Kommunikation, Begegnung und Ent-Wicklung möglich sind
Den Spiegel gleichgesinnter Menschen
Wo können wir lernen und forschen?
All dies findest du in unseren Glückscampus Seminaren, zu denen wir dich herzlich einladen. Komm mit uns auf die Forschungsreise der Liebe, um deine Beziehung(en) glücklich zu leben.
Text von Doreen Mehner
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